Aussicht auf neue Chancen erweitern

Situation verstehen

Der Einzelhandel steckt in einem noch nie dagewesenen Transformationsprozess. Erstaunlich ist, wie das Interesse an uns Kunden nur von wenigen Marktteilnehmern entwickelt wird. Würde sich ein Schachspieler nicht fürs Gegenüber und dessen Denkweise interessieren, müsste er mit dem Spiel gar nicht erst beginnen. 

Im Rahmen eines Entwicklungsprogramms für Autohändler besuchte ich einen grösseren Betrieb mit finanziellen Problemen. Der Neuwagenverkauf lief trotz des Marktpotentials nicht gut. Es stellte sich heraus, dass die Teamleiter als beste Verkäufer dieselben Budgets zu erfüllen hatten wie alle anderen. Ausserdem war das Bonussystem auf die realisierte Marge je Vertrag ausgerichtet, nicht auf das Volumen. Es fehlte ausserdem ein echtes Interesse am bestehenden Kunden und dessen Kaufprozess, um die Kaufpotentiale auszuschöpfen. Warten auf den Interessenten, hiess das Motto.

 Auf die Frage, was denn bisher getan worden sei, erklärten die Besitzer im Erstgespräch: «Führungskräfte und Verkäufer werden auf die Situation immer wieder hingewiesen.»

 Analyse Umfeld und Unternehmen

Spannend war – wie in anderen Unternehmen – die Befragung der Teamleiter und Mitarbeiter, insbesondere die Offenheit der Betroffenen und damit die Offenlegung von schlummernden Chancen. Nachstehend ein paar Erkenntnisse der Erstaufnahme:

  • Die Teamleiter als beste Verkäufer musste ebenso viele Fahrzeuge verkaufen wie ihre Kollegen und kamen so an den zwei Vertriebsstandorten nicht zum Führen.
  • Die Verkäufer waren sich der Veränderungen im Kaufprozess der Kunden nicht bewusst, obwohl diese immer weniger im Showroom zu sehen sind.
  • Sie verdienten nicht an der Erfüllung der Verkaufsziele, sondern an der realisierten Marge je Vertrag.
  • Die direkte Konkurrenz schöpfte das interessante Marktpotential besser aus.
  • Die Kennzahlen in den Verkaufsteams gingen weit auseinander.

Umlernen ist ein langwieriger Prozess und erfordert Verständnis, von der Führungskraft wie vom Mitarbeiter. 

Das Gehirn als Bremse

Als Aussenstehender würde man sagen: «Packen wir’s an, da sind Wirkungszusammenhänge erkennbar!» Als Direktbetroffener unterliegt man allerdings den Automatismen unseres Gehirns, das im Unbewussten unangenehme Neuigkeiten in schlechte Gefühle verwandelt und eine umfassende Denkweise behindern kann. Wir schämen uns oft, wenn Fakten, die wir selbst hätten feststellen sollen, aus einem anderem Munde kommen. Hilfreiche Wahrnehmungen blenden wir durch Routinen im beruflichen Alltag aus und richten unsere Augen auf eigene Prioritäten. Dies macht uns betriebsblind. Im eigenen Unternehmen erfahre ich dies ebenso.

Veränderung der Sichtweisen

Dass die ganze Direktion ihre Sichtweisen änderte und zu einer erweiterten Gesamtansicht gelangte, war zwei veränderungswilligen Mitgliedern, der Entdeckung der Grundmotivationen der Besitzer und dem achtsamen Vorgehen zu verdanken. Obwohl der Wandel drängte, liess man sich Zeit und setzte wie im Schach auf den langsamen, logischen Denkprozess. Dies erlaubte den Beteiligten, verschiedene Sichtweisen einzunehmen, die Wirkungszusammenhänge besser zu verstehen, zu priorisieren und den Willen zur Veränderung zu entwickeln. Vor den Sommerferien war sich die Geschäftsleitung über den Sinn einer Veränderung einig, und im August entschied sich das Gremium einstimmig für ein neues Führungssystem und eine auf Ziele und Rendite ausgerichtete Bezahlung der Verkäufer.

Die Reaktionen der Verkäufer waren gemischter Natur, es gab auch Abgänge. Um die Ergebnisse im Kundenkontakt qualitativ und quantitativ zu steigern, tauchten die Verkäufer in die aktuelle Welt des Kunden ein, um dessen Customer Journey zu verstehen, passten den Verkaufsprozess in kleinen Schritten an und trainierten neue Verhalten im Showroom und am Telefon. Das Team ist heute sehr erfolgreich unterwegs, hinsichtlich Verträgen, Rendite und Kundenzufriedenheit, und passt sich permanent den sich wandelnden Wünschen und Bedürfnisse der Kunden an.